Silvester im Kloster

07.01.24, 21:50
Ein Gemeindemitglied

Wie es dazu kam

Was tun, wenn ein Termin den anderen jagt? Was tun, wenn das Gefühl, in der hektischen Zeit, den Halt zu verlieren und mitgerissen zu werden, immer größer wird und sich geradezu ein Gefühl der Ausweglosigkeit breit macht? Die privaten, beruflichen und sonstigen Probleme einem über den Kopf wachsen?

Dann hilft eigentlich nur noch eine ganz bewusste Entschleunigung, ein Ausstieg aus dem Hamsterrad des Alltags, ein „Stopp-Sagen“ zu Stress, Hektik, Lärm, Verpflichtungen anderen gegenüber, und die Rückbesinnung auf das Wesentliche, dem eigentlichen Selbst-sein.

In einer solchen Situation befand ich mich Mitte Oktober. Ziemlich schnell kam mir die Idee, die Zeit um Silvester zu nutzen, um den ganzen Berg an Sorgen, Problemen, etc. hinter mir zu lassen; mit einer anderen Sichtweise auf das Jahr 2023 zurück zu blicken und vor allem geistig gestärkt ins neue Jahr zu starten; 2024 nicht mit Feiern, Lärm zu begehen, sondern ruhig und besinnlich.

Schnell wurde ich bei meiner Suche auf das Benediktinerinnen Kloster Varensell bei Rietberg (Kreis Gütersloh) aufmerksam:  

Silvester im Kloster_Programm (c) privat

„Wissend um die gegenwärtige Zeit“ (Röm 13,11)

Am Wendepunkt der Jahre die Tage im

Rückblick und Ausblick bewusst geistlich

erleben und gestalten.

Neben verschiedenen Angeboten von

Meditation und Stille, von kreativem Tun und

Austausch besteht die Möglichkeit, am

Stundengebet der Schwestern teilzunehmen..

stand auf dem Programm des Klosters. Das Angebot sprach mich sofort an, weshalb ich, nach kurzer Rücksprache mit meinen Kindern, mich anmeldete. Ich hatte Glück, in dem begehrten Kurs noch einen Platz zu erhalten.

Auf ging es

Und so machte ich mich am 29. Dezember für vier Tage auf nach Varensell. Noch am Abend zuvor war nicht wirklich klar, wie ich dorthin kommen sollte, entschied mich dann aber für die Bahn. Alle Verbindungen klappten und es gab keine Verspätungen oder gar Ausfälle. Der erste Schritt zur ersehnten Entschleunigung war getan.

Die Teilnehmerzahl war auf 20 beschränkt. 19 Frauen und 1 Mann im Alter von Ende 20 bis 81 nahmen teil – jede, jeder mit ihrer/seiner ganz eigenen Motivation. Es wurden abwechslungsreiche und intensive Tage. Wir hatten gemeinsam verbrachte Zeit und Zeit für uns alleine. In den ersten zwei Tagen gab es immer am Vormittag und am Nachmittag jeweils ein Programmpunkt. Es stand uns jederzeit offen, an Laudes, Eucharistiefeier, Vesper, Komplet und Vigilien der Schwestern teilzunehmen oder nicht. So entstand ein spannender Wechsel von Allein-Zeit und Gemeinsamkeit.

Schon am Freitag ging es direkt los. Als Einstieg beschäftigten wir uns mit der „gegenwärtigen Zeit“. Wie wird sie von jeder/m empfunden? Welches Schlagwort kommt uns dazu in den Sinn? Dieses notierten wir uns und sollten uns dazu aus einer großen Auswahl an Fotos ein passenden Bild aussuchen und in die Mitte legen. So lernten wir uns schon ein wenig kennen.

 

Silvester im Kloster_Zeit (c) privat

Der zweite Tag

Am Samstag morgen, natürlich schaffte ich es um 6:15 Uhr nicht zur Laudes, so übermüdet wie ich war, wurde uns in einem zweiten Impuls die verschiedenen möglichen Übersetzungen für die Stelle im Römerbrief „wissend um die gegenwärtige Zeit“, der Überschrift über das gesamte Wochenende, nähergebracht:

„Bedenkt die gegenwärtige Zeit“, „Ihr wisst, was die Stunde geschlagen hat“, „Ihr wisst genau, in welcher besonderen Zeit wir leben“, „achtet also auf die Gelegenheiten, die Gott euch gibt“, „Ihr wisst, dass die Zeit begrenzt ist“, „So handelt in richtiger Erkenntnis der Zeit“

um nur hier einige mögliche Übersetzungen zu nennen. Alle sind richtig und es gibt derer unendlich viele. Und doch liegt in jeder ein anderer Schwerpunkt, die Nuancen sind manchmal minimal, aber entscheidend.

Gleichzeitig erfolgte ein kurzer, flüchtiger Blick auf die Benediktusregel, insbesondere auf Regel 17: „Willst du wahres und unvergängliches Leben, bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor falscher Rede! Meide das Böse und tue das Gute! Such Frieden und jage ihm nach!“

„Frieden“ - das Wort, das im ersten Impuls der Vorstellungsrunde oft genannt wurde, der Wunsch nach Frieden in der Welt oder für sich selbst. Und so näherten wir uns dem Vers langsam an: Voraussetzung, um Frieden zu finden ist, dass die Realität wahrgenommen wird, dass jede/r aufpassen muss, den Frieden zu bewahren und eine Gemeinschaft lebt nur im Frieden, wenn dieser jeden Tag neu eingeübt wird. Beide Parteien müssen bereit sein, Frieden zu schließen und jede/r soll bereit sein, den ersten Schritt zu tun, ganz in dem Sinne: „Bewahre deine Zunge vor Bösem/ und deine Lippen vor falscher Rede! Meide das Böse und tu das Gute;/suche Frieden und jage ihm nach!

Im Nachmittagsimpuls erlebten wir unter dem Titel „Anders sehen – andere sehen“ die Geschichte des blinden Bartimäus (Markus 10, 46-52), der durch seinen Glauben wieder zum Sehen kam, durch einen Bibliolog geradezu hautnah mit. Es war spannend und hatte so viel Spaß gemacht, dass mir direkt der Gedanke kam, so etwas könnte auch einmal eine Form für die Erstkommunion-Vorbereitung sein, oder für eine Familienmesse. Wer weiß...

Der dritte Tag

Am letzten Tag des Jahres war ich dann tatsächlich schon so früh wach, dass ich es sogar zur Laudes schaffte. Nach einem kurzen Frühstück folgte die Eucharistiefeier bevor wir uns dann mit dem nächsten Impuls „Die Liebe tun in der gegenwärtigen Zeit“ auf einen Emmausgang aufmachten. Mit einem zufällig ausgelosten Partner ging es durch die weiten Wiesen und Felder rund um Varensell und wir gingen den Fragen nach: „Wo erlebe ich das in meinem Umfeld?“ „Welche Ereignisse, Begegnungen...fallen mir ein?“ „Wo und wie kann ich das in meinen Alltag verwirklichen?“ „Was hilft mir dabei?“ Ich durfte Christel, 71, kennenlernen. Eine lebenslustige Frau, verwitwet, drei erwachsene Kinder, die einmal sieben Jahre in einem Holzhaus im Wald gelebt hatte und die von sich sagt, noch nie Angst gehabt zu haben und in ihrer neuen Heimatstadt Berlin nun auf Partnersuche ist. Es war eine Bereicherung, von der ich sicher noch lange zehren werde.

Danach blieb mir bis zur Vesper um 17:30 Uhr viel stille Zeit für den persönlichen Jahresrückblick. Dazu wurden uns Fragen zum Nachdenken mitgegeben. Ich ging in den Meditationsraum und lag dann dort vor dem großen und bunten Fensterbild, durch das ab und zu die untergehende Sonne schien und hörte leise Musik.

Silvester im Kloster_Fenster (c) privat

Wofür bin ich dankbar?

Was war meine beste Idee?

Über welchen „Zufall“ habe ich gestaunt?

Welche Menschen waren auf meinem Lebensweg im letzten Jahr besonders wichtig?

Was war oft mein letzter Gedanke beim Einschlafen?

Wann habe ich im vergangenen Jahr einmal von Herzen gelacht?

Was habe ich losgelassen?

Wovon war ich überrascht?

Woraus bin ich in diesem Jahr richtig stolz?

Gab es ein Wort aus der Bibel, das mich in diesem Jahr besonders begleitet hat?

Bin ich Gott begegnet?

Welches Buch/ welcher Film hat mich im vergangenen Jahr begeistert oder nachdenklich gemacht?

Welche Erfahrung des letzten Jahres möchte ich auf eine Fall missen?

Was ich Gott jetzt gern sagen möchte.

Am Nachmittag folgte dann, als Herzstück der vier Tage, die Vigilfeier im Chorraum der beeindruckenden Kirche. Eingerahmt in den gesungenen Gebeten der Schwestern (am Ende traute sich tatsächlich der eine/die andere auch mitzusingen), waren Friede und Licht zentrale Themen; die „Geistliche Bilanz eines Jahres“ von Karl Rahner zum Ende hin sowie das Abschlusslied „Von guten Mächten“ ließen uns alle lange nicht los und begleiteten mich selbst noch ins neue Jahr.

Der Jahreswechsel

Was anschließend blieb, war das Warten aufs neue Jahr. Nach gemütlichen Gesprächen mit anderen Kursteilnehmern in der Bibliothek zog es mich in die Krypta. Dort verbrachte ich die letzte Stunde des letzten Jahres.

Durch den Kreuzgang, der für uns geöffnet wurde, geht es hinunter in die Krypta. Dort ist es stockfinster. Es dauert etwas, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Es ist kein kalter Raum in Varensell. Teppichboden lädt dazu ein, die Schuhe auszuziehen und sich zu setzen. Durch meine Socken fühle ich den flauschigen Teppich. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Nur das Licht rund um den Tabernakel ist an; lenkt den Blick automatisch auf das Mosaik des brennenden Dornbuschs und ab dann ist mein Blick darauf gerichtet. Das Kommen und Gehen der Anderen nehme ich kaum war. Seltsam, wie die Zeit dort in der Dunkelheit vergeht. Eigentlich ist sie nur durch die Schläge der Kirchturmuhr bestimmt.

Die erste viertel Stunde fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Alle möglichen Bilder, Gedanken, Erinnerungen, Gespräche, Erlebtes der letzten Tage aber auch des letzten Jahres gehen mir durch den Sinn. Ich komme nur schwer in die Ruhe. Erster Glockenschlag.

Die zweite viertel Stunde werde ich ruhiger – formuliere schon Teile dieses Berichts – kann aber auch erste Gebete sprechen, ohne abzuschweifen, Fürbitten sprechen, mich bedanken, für das was war und denke über das bald anbrechende Jahr. Gleichzeitig aber frage ich mich so banale Dinge, warum manche Menschen immer so ungeduldig sind und nicht das Schöne abwarten können: draußen wird schon eine ganze Batterie abgefackelt. Dumpf ertönen die Knaller der Raketen unten in der Krypta. Zweiter Glockenschlag.

Die dritte viertel Stunde fängt komischerweise mit Stille an – es gibt eine Pause mit dem voreiligen Feuerwerk. Meine Gedanken werden erfüllt von den Erinnerungen an meine verstorbenen Familienangehörigen, allen voran meinen Vater und meine Großeltern sowie Tante, die ich dieses Jahr besonders schmerzlich vermisse. Dritter Glockenschlag.

Es kehrt Ruhe ein – in mir. Eine innere Ruhe. Die Gedanken sind langsam, kaum noch vorhanden. Mein Blick auf das Braun und Rot des Dornbuschs gerichtet.

 

Silvester im Kloster_Dornbusch (c) privat

Und dann: Vierter Glockenschlag und danach die zwölf Schläge der Kirchturmuhr. Draußen geht es jetzt los. Währenddessen habe ich aber ein anderes Feuerwerk vor mir. Das Mosaik scheint irgendwie zu pulsieren, sich zu bewegen, lebendig zu werden, zeigt wesentlich mehr Farben als das Braun und rot, sowie das Gold in der Mitte. Ich ruhe komplett in mir - eigentlich. Denn auf einmal denke ich „Komisch... Wo ist denn das Geläut der Kirchenglocken?“ Es setzt verspätet ein und bei weitem nicht so laut, wie es Christel, die schon einmal Silvester in Varensell erlebt hat, vorher beschrieb, die sich später auch darüber wundert. Aber das ist in dem Augenblick egal. Wir sind zu fünft in der Krypta (das erfahre ich aber erst beim Rausgehen). Und während über uns draußen die Post abgeht, bewegt sich keine/r. Keine/r spricht. Wir sind alle im Augenblick. Jede/r in ihrer/seiner Ruhe, Gelassenheit. Es herrscht Stille in uns – eine viertel Stunde lang; bis die Glocken aufhören zu läuten. Ein schöner Jahresanfang; einer nur für mich; den ich gerne so lange wie möglich mit ins Jahr nehmen möchte.

Später geselle ich mich wieder zu den anderen in die Bibliothek und wir verleben noch schöne, lustige gemeinsame ein-zwei Stunden.

Es war eine gute Entscheidung zu kommen – Silvester einmal anders. Vielleicht wiederhole ich es. Ganz sicher war dies nicht mein letzter Besuch bei den Benediktinerinnen in Varensell.   

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