Vogelperspektive: Ein Werkstatt-/Atelierbesuch hoch über der Stadt

22.08.23, 21:22
Marc Kerling
Tuch Turm (c) Martina Sedlaczek

Schon auf dem Weg den Berg hinauf, sehe ich das große blaue Band am Turm sanft im Wind schaukeln und frage mich, wie beides wohl zusammenhängen mag: Von der hohen Warte aus die Stadt zu zeichnen und das große Altartuch, das am letzten Sonntag in der Abteikirche war und am kommenden Sonntag in der Wort-Gottes-Feier in St. Anno dabei sein wird. 

Werkstatt im Turm (c) Marc Kerling

Katharina Krenkel wird den Gottesdienst auch mitfeiern und anschließend noch zum Gespräch bleiben. Deshalb habe ich sie vorab im KSI und im Turm besucht, wo sie derzeit eine Woche lang arbeitet, zusammen mit ihr den Weitblick genossen und sie lange interviewt. Ein paar Eindrücke aus dem „Werkstatt-Gespräch“ möchte ich gerne mit Ihnen teilen. 

MMK:     „Siegburg sichten“ ist Ihr Werkschaffen in dieser Woche als „Stadtzeichnerin“ benannt. Was haben Sie denn bisher gesichtet? 

KK:         Vor allem, dass ich weiß, „dass ich nichts weiß“ …, nur wenig passt auf mein Papier, das Bemühen, etwas von dieser Weite und Stimmung festzuhalten: Die Tageszeiten, Lichtverhältnisse, das Spüren von Wind und Sonne, ich kann mittendrin viel beobachten, Verkehrsströme, Menschenströme …

MMK:     Das ist ein gutes Stichwort, „Ströme“, ich sehe ja hier oben auch das blaue Band, an dem die Menschen in der Stadt erkennen, dass Sie malen. Sie zeichnen die Stadt, aber es geht ja auch um Wasser. Was strömt noch? Und was ist der Zusammenhang zwischen beidem? 

KK:         Bei der Planung des Projekts wollte ich den Rundumblick haben. Ich habe schnell gemerkt, dass der Standort sehr geprägt ist durch die Flüsse, die Besiedelung, all das kommt nicht von ungefähr. Von hier oben kann man fast archäologisch verstehen, wie die Stadt gewachsen ist. Ich kann erkennen, wo vielleicht etwas im Krieg zerstört wurde, neu aufgebaut, oder die Industrialisierung, die ICE-Strecke, die A3, die ganze Infrastruktur. 

              Deshalb war Wasser mein Ausgangspunkt. Ich wusste, es würde heiß, sehr trocken, da ist Wasser natürlich ein großes Thema. Ich „schütte“ quasi von hier oben auch „Wasser ins Tal“. 

MMK:     Wasser, da knüpfe ich gerne weiter an: Zeichnen ist ja der eine Teil Ihres Werkschaffens, das Altartuch „Wasser“ der andere. Das Tuch wird in St. Anno sein. Erzählen Sie uns etwas von der Entstehungsgeschichte? 

KK:         Es war jetzt schon in 38 Kirchen, zuletzt hier die Kirche auf dem Berg, und ich arbeite daran seit 2011. Der Grundgedanke ist der: Das Wasser ist nie dasselbe, ich steige nie in dasselbe Wasser, wie Heraklit sagt.

MMK:     Also „panta rhei“, „alles fließt“

KK:         Ja genau. Es verändert sich aber, dieses Prinzip befolge ich ganz penibel. Es war nie dasselbe Wasser in zwei verschiedenen Kirchen. Auch wenn es nur 24 Stunden zwischen zwei Stationen waren, habe ich zumindest einen kleinen Wasserstrudel oder etwas anderes hineingesetzt, in einer Nachtschicht. So wird es immer größer und immer mehr, eine große Vision, irgendwann „schwappt“ es dann raus aus der Kirche.  

MMK:     „Panta rhei“ ist ein philosophischer Blickwinkel, „Wasser“ ist aber auch ein biblisches, ein liturgisches, ein rituelles Thema, sehr vielschichtig, von der Urflut bis zu Waschungen und hin zur Taufe und noch viel mehr. Was ist die religiöse Dimension, die sie im Tuch sehen? 

KK:         Zum einen die Entstehungsgeschichte im Saarland, im Kirchenkreis zum „Jahr der Kirche“, da sollten viele einzelne Kirchen beteiligt werden. Das Blau hat verschiedene Bedeutungen … 

MMK:     … ja, es ist eigentlich die Marienfarbe, die Farbe des Meeres, marianische Elemente im doppelten Wortsinn, Maria als „Meerstern“, ein Stein wie der Aquamarin, ein Name wie Marian … 

KK:         Oh ja, und die Antependien sind zumeist weibliche Handarbeiten. Das hat auch ganz viel mit weiblicher Geschichte zu tun, dass es über den Altar fließt. 

MMK:     Auch mit weiblicher Spiritualität? 

KK:         Ja, auch, aber auch ganz pragmatisch. Ich habe auch vier Kinder und im Haushalt, Reinhalten, da schwappt das ganze Wasser über den Mittagstisch drüber. Außerdem sollte es kein „feines Tuch“ sein, kein weißes, makelloses, fein gesticktes Tuch, sondern es sollte auch etwas von einer Decke haben, also Schutz, drunter kriechen können. Eine schwere Qualität, aber natürlich auch nicht zu grob. Deshalb habe ich es bewusst und extra so gemacht, dass man es anfassen kann. Dass die Menschen kommen können und die Hände „eintauchen“ in dieses Wasser. Und das soll auch sein. Diese textilen Dinge bieten einen haptischen und sinnlichen Zugang – die will man auch anfassen. 

MMK:     Woraus ist es gemacht?

KK:         Aus Baumwolle, dann könnte man es im schlimmsten Fall sogar waschen. Man darf fühlen, es ist reliefartig, nicht flach. 

MMK:     Das wäre meine nächste Frage: Ich durfte es ja gestern schon sehen, hier oben auf dem Berg, und habe mich gefragt: Es sind viele Farben, nicht nur Blau, auch Braun, was wir mit Erde, mit Schmutz assoziieren, was für Elemente kommen vor im Altartuch? 

KK:         Wasser hat ja keine Farbe, reflektiert aber alle Farben, ob Kieselsteine, die drin sind, oder bei Hochwasser der ganze Schmutz, der vom Grund und von überall her hochkommt, oder Fremdstoffe, verschmutzte Gewässer, Textilabfälle. Ich habe auch Wolle benutzt, die viele Grau-, Blau und Grüntöne bis ins Violett changieren lässt, so wie der Stand der Sonne das Wasser anders aussehen lässt. Ein großes Spektrum. Die Assoziationen sind frei, aber es sind auch Strudel, Kiesel, eine Brandung, und es gibt Veränderung: Ich verändere mich ja auch, und was geschieht, fließt mit ein, ob damals der Tsunami oder vor zwei Jahren die Katastrophe im Ahrtal. Das sind alles Geschichten, die ich einarbeite. 

MMK:     Also Ökologie, Politik, ist das alles drin im Tuch?

KK:         Ja, eine Dame hat mich mal auf eine Stelle angesprochen, die sie schmerzhaft berührt, und das war tatsächlich die, als ich daran gehäkelt habe und im Radio von der Tsunamikatastrophe gehört habe. Aber auch zum Beispiel zwei kleine Mädchen, die gesagt haben: „Du hast die Quelle vergessen!“, und die habe ich dann nachträglich noch oben deutlicher angesetzt. Sie ist also da, wo dann auch die Bibel auf dem Altar liegt.

MMK:     Am Sonntag wird das ein kostbares Evangeliar sein, in St. Anno, das bringt mich auf die Frage, ob also der Altar die „Quelle ist“, und von hier fließt das Wasser dann nach unten in den Kirchenraum? 

KK:         Ja richtig, das liegt natürlich auch an meiner Arbeitsrichtung. Ich habe auch schon seitlich Teile angesetzt. Wenn ich in der Kirche selbst vor meinem Tuch sitze, komme ich immer wieder „in diesen Flow“ hinein. Ich vertiefe mich rein, und dann fällt mir etwas auf, das ergänze ich dann, einen dunklen tiefen Teich oder so etwas. 

MMK:     Dazu passt, dass seitlich vom Altar das Taufbecken steht. Könnte man das integrieren?

KK:         Ja, habe ich schon gemacht und es „um die Ecke fließen lassen“, ich kann es, weil es so flexibel ist, immer anders gestalten und arrangieren. Auch zum Taufbecken, als es zu einer Zeit in einer Kirche war, in der die Pfarrerin mehrere Taufen hatte. 

MMK:     Ich bin gespannt, wie es dann am Sonntag aussehen wird, vielleicht eine letzte Frage: Wir waren eben unten, haben im KSI Ihren „Tag 1“ angeschaut. Sie integrieren die alten Weihwasserbecken der Abtei, es ist eigentlich ein „weiches Kunstwerk“, ein „weiches Bild“, Wasser ist aber auch hart, hat „keine Balken“, kommt das auch vor? Sie haben eben von den „Temperamenten“ gesprochen, können wir uns da identifizieren, wenn wir am Sonntag Gottesdienst feiern?

KK:         Ja, unbedingt, es gibt eine Stelle, da wird es schaumig, es gibt Temperaturunterschiede, warmes und kaltes Wasser, mal fließt es schneller, wie ein Gebirgsbach, der mit drin ist, oder ein breiter, langsam fließender Strom, Geschwindigkeiten, Tiefe. Und Löcher, damit sich das Tuch mit dem Untergrund verbindet. Mal schwarzer Granit, oder Sandstein. 

MMK:     Nur eins ist klar: Die Fließrichtung … 

KK:         Ich habe mal an einer Wasserscheide gearbeitet, da sind zwei Fließrichtungen mit Eigenleben entstanden. Manchmal Zufall, manchmal schöpferische Kraft. Geist, Schöpfungsgeschichte. 

MMK:     Der Geist Gottes über den Wassern, die „Ruach“, die Paradiesflüsse, der Schöpfer, der Meer und Erde voneinander trennt. Neu erschaffene, anders erschaffene Welten. Ich danke Ihnen sehr, dass ich mit Ihnen hier oben sein durfte, und freue mich, wenn wir am Sonntag erst Gottesdienst feiern und danach auch noch über Ihr Kunstwerk ins Gespräch kommen.  

Link zur Homepage der Künstlerin

Wolle Altartuch (c) Marc Kerling
Tuch Turm (c) Marc Kerling
Tuch Wasser (c) Marc Kerling
Station Nr. 38 (c) Marc Kerling

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